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Massenware
#1
Oesterreich 
Sonette, Leute, sind doch Massenware.
Und dass ihr euch darüber nur nicht wundert!
Ein guter Dichter schafft rund siebenhundert
Im Laufe eines einz’gen Arbeitsjahres.

Das ist der Grund, warum ich nicht abfahre
Auf solchen stereotypen Fließband-Plunder.
Das setzt mich nicht in Brand, da fehlt der Zunder.
Ich stehe mehr aufs Exquisite, Rare.

Es gibt wohl Lyrik, die ich gut befunden.
Da endet keine Zeile mit ’nem Reim;
Das Versmaß ist natürlich ungebunden,

Und alle Wortanfänge schreibt man klein.
Das Wichtigste jedoch: Für mich als Kunden
Muss gute Lyrik un-ver-ständ-lich sein.
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#2
Hallo Christian,

Wenn Du das Sonett in Sonettform kritisierst, reihst du dich natürlich in eine Tradition ein in andere Autoren die das getan haben, das bekannteste Beispiel ist wohl Robert Gernharts "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs".

Zwei Dinge sind mir aufgefallen:
1.: "stereotypen" bricht aus dem Versmaß aus. Das wäre in einem anderen Sonett vielleicht ein lässlicher Fehler. Viele Dichter behandeln die Form nicht mehr ganz so streng, aber gerade bei diesem Thema ist doch der Gag, dass du die Sonettform benutzt. Da solltest du in der Form so streng wie irgend möglich sein.

2.: Finde ich den Schluß inhaltlich etwas unpassend. Sind es wirklich die Kunden, die Normalleser, die unverständliches wollen? Gute Lyrik hat, wie jede gute Literatur eine Aussage. Das kann auch eine alltägliche oder humoristische sein. "Unverständlich" wird doch Lyrik von Laien kritisiert, die offenbar nicht für Masse geschrieben ist, sondern für den Innercircle im Elfenbeinturm. Jetzt läßt sich "Kunden" nicht einfach durch "Künstler" oder "Dichter" ersetzen, weil du es als Reimwort nutzt. Und ein Dichter würde ernsthaft auch nie sagen, dass er unverständlich sein will, sondern originell, individualistisch oder hermetisch...

Auch ein Leser, dem Brand und Zunder fehlt, sucht vielleicht das Feuer bei anarchistischen Formzertrümmerern, aber Unverständlichkeit wird doch kaum gesucht oder angestebt.

Liebe Grüße
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Oesterreich 
Hallo Zaunkoenig,

vielen Dank fuer Deinen Kommentar! Ich will mal versuchen, Deine Anregungen umzusetzen:

Sonette, Leute, sind doch Massenware.
Und dass ihr euch darüber nur nicht wundert!
Ein guter Dichter schafft rund siebenhundert
Im Laufe eines einz’gen Arbeitsjahres.

Das ist der Grund, warum ich nicht abfahre
Auf solchen formelhaften Fließband-Plunder.
Das setzt mich nicht in Brand, da fehlt der Zunder.
Ich stehe mehr aufs Exquisite, Rare.

Es gibt wohl Lyrik, die ich gut befunden.
Da endet keine Zeile mit ’nem Reim;
Das Versmaß ist natürlich ungebunden,

Und alle Wortanfänge schreibt man klein.
Denn wisst: Für mich als aufgeklärten Kunden
Muss Lyrik stets avantgardistisch sein.


Bei dem "stereotypen" bin ich mir uebrigens nicht so sicher. "reo" ist - auch laut Rechtschreiblexika wie Duden - eine Silbe, d.h., es ist weniger als Hiatus (e-o) denn als Diphtong zu lesen (eo). So klingt es oftmals auch in der gesprochenen Sprache, wo das "e" tendenziell zu einem palatalen Konsonanten wird ("sterjotypen"). Demnach waere das Wort viersilbig (ste-reo-typ-en) und wuerde sich durchaus ins Versmass fuegen.
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#4
Hallo Christian,


Ich habe gerade keinen aktuellen Duden zur Hand, aber gehört habe ich noch nie, dass das "eo" in "stereotyp" als Diphtong gesprochen wird. Das Problem scheint mir zu sein, wie man "Silbe" definiert. Im Weitesten Sinne sind es Wortteile.
Etymyologisch könne man sagen, dass es nur drei Silben sind, nämlich "typ" als Stammsilbe, "stereo" als griechiosche Vorsilbe, hier im Sinne von "starr" und "en", das im Substantiv die Mehrzahl bildet und im Adjektiv die Flexion (Genitiv oder Dativ)
Die Rechtschreibung interressiert sich für Silben im Zuge der Worttrennung am Zeilenende und orientiert sich am Lautwert, allerdings mit der Ausnahme, dass keine Einzelbuchstaben abgetrennt werden. Diese Ausnahme hat vor allem schrift-stilistische Gründe und greift nicht, wenn wir als Dichter ein Versmaß bilden.



Mit "formelhaft" in Zeile 6
und "avantgardistisch" in Zeile 14
hast Du gute Lösungen gefunden.
So finde ich das Sonett formal, wie inhaltlich stimmig.

Liebe Grüße
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
Oesterreich 
Hallo ZaunköniG,

Danke für das Feedback und für die Erörterung zum Thema Silbe. Mir leuchtet ein, dass die Orthographie (im konkreten Fall die Silbentrennung) für das Versmaß nicht ausschlaggebend ist. Entscheidend ist vielmehr der Klang, d.h. was man beim Lesen (und sei es im inneren Ohr) hoert. Vom Griechischen her ist "eo" natürlich kein Diphtong, und wenn man hochsprachlich korrekt spricht, sollte das "e" vor dem "o" deutlich hörbar sein (vgl. auch französisch "stéréotypé", mit dem Akut als deutlichem Indiz dafür, dass das "e" an dieser Stelle ein vollwertiger Vokal ist). Wenn ich mich aber selbst beim Sprechen beobachte, stelle ich fest, dass ich das Wort "stereo" im Normalfall nicht so korrekt ausspreche, sondern eben das "e" zu einem palatalen, tendenziell konsonanten Laut verwische, also eine Art "j" oder "Schwa"-Laut. Und das ist wohl auch der Klang gewesen, den ich beim Schreiben des Sonetts im Ohr hatte. Formal gesehen ist das natürlich ein Kolloquialismus, den man in einem Sonett, das (vordergründig) das Sonett kritisiert (von der Intention her aber sich über die Verächter des Sonetts lustig macht), unpassend finden kann. Ich finde das dahinter stehende Problem aber spannend, weil eben dieselben Wörter in anderen Ohren anders klingen. Hier in Österreich betont man z.B. das Wort "Labor" auf der ersten Silbe (entsprechend dem Lateinischen), während ich als in Deutschland Geborener damit aufgewachsen bin, dass man "Labor" auf der letzten Silbe betont. Je nach Betonung wäre das Wort in einem Gedicht unterschiedlich zu verwenden, sowohl im Hinblick auf das Versmaß als auch ggfs. auf einen Endreim. Oder anderes Beispiel: In Österreich spricht man das Wort "Karriere" französierend "karriär" aus, unterdrückt also das auslautende "e". Auch hier wieder: Für einen Deutschen würde sich "Karriere" z.B. auf "Ehre" reimen, in den Ohren eines Österreichers klänge das seltsam.

So, jetzt bin ich ein wenig ausschweifend geworden. Bitte um Entschuldigung und wünsche einen schönen Abend!

C.J.
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#6
Hallo Christian,

Solche Ausschweifungen sind kein Problem. Wenn wir uns über Gedichte oder Dichtung unterhalten, gehört allgemeineres Nachdenken über Sprache einfach dazu.
Wie man mit Dialekt oder Slang umgeht, hängt natürlich auch von der Zieklgruppe ab, aber in der Regel gehe ich davon aus, dass jeder deutschsprachige Leser zur Zielgruppe zählt. Daher würde ich zunächst mal vom Standarddeutsch ausgehen (was mir als Hannoveraner vielleicht leichter fällt als einem Schwaben, Sachen oder Tiroler) Aber wenn ich dem Text ein Lokalkolorid geben will, ist Dialekt ein probates Mittel. Ob ich eine Frikadelle nun Bulette, Klops oder Fleischpflanzerl nenne - ist kein Lesehindernis. Aber jede Region hat auch spezielle Begriffe, die andernorts schlicht nicht verstanden werden, was einem erst bewußt wird, wenn man in staunend-hilflose Gesichter blickt....
Mit der unterschiedlichen Aussprache eigentlich gleicher Begriffe verhält es sich ähnlich. Erkennt der Leser, egal wo er wohnt, am Schriftbild wie er ausgesprochen werden soll? Man kann sich da oft mit Apostrophierung behelfen oder mit einem lautmalerischen Schriftbild, wie es in Dialektdichtung üblich ist. Statt das ganze Gedicht in Dialekt zu verfassen, kann man sich auf Passagen in wörtlicher Rede beschränken, - oder sogar auf stehende Redewenungen. Ein "Mia san mia!" kann man auch in einen hochdeutschen Satz einbetten, genau wie ein englisches Zitat oder einen lateinischen Sinnspruch.
Apostrophierungen, nur um Versmass oder Reim einzuhalten, werden aber leicht auch vom Leser als Notlösung erkannt.
Besser, wenn jede Abweichung vom Standarddeutsch auch inhaltlich begründet ist, als wörtliche Rede eines Dialektsprechers, als Jugendslang, oder die unsaubere Aussprache eines Migranten, eines Kleinkindes, eines Betrunkenen....
Was sich nicht pauschal lösen lässt, ist wie man den eigenen Sprachgebrauch einordnet. Ist wirklich alles, was ich sage und schreibe allgemeinverständlich? In Regionen, wo die eigene Muindart noch bewußt gepflegt wird ist man in der Hinsicht vermutlich besonders sensibilisiert, aber selbst hier in Hannover, wo angeblich das beste und reinste Hochdeutsdch gesprochen wird, gibt es solche Worte, die hundert Kilometer weiter nicht mehr als verständlich vorausgesetzt werden können: Löke, Krökeln, Kienappel, Lodderbast ...

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#7
Oesterreich 
Hallo ZaunköniG,

aus dieser Diskussion nehme ich für mich eine (erneute) Sensibilisierung mit für die Differenz für das beim Schreiben im inneren Ohr Gehörte und dem, was eine Leserin oder ein Leser wahrnimmt. Sich diese Differenz und ihre möglichen Dimensionen immer wieder bewusst zu machen, schadet gewiss nicht. Auf einem anderen Feld liegen wiederum die persönlichen Sensibilitäten und Vorlieben, d.h., wie viel zB an Elisionen und Hyperbata lässt man zu, wie hoch ist der eigene Anspruch an die Stringenz der Form usw. Ich denke zudem, dass sich aus der Spannung zwischen der Form und den am Ende wohl unvermeidlich idiomatischen Elementen auch so etwas wie ein eigener "Sound" ergeben kann, der für manche - aber wohl nicht für alle - Leser seinen Reiz hat.

Wie auch immer, es wird Zeit weiterzumachen und ein neues Sonett zu posten. Ich bleibe gleich mal beim Thema.

Herzliche Gruesse
Christian
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